In Hittisau läuten die Glocken. Im Büro des Naturparks Nagelfluhkette erwarten mich Lisa und Matthias, zwei Ranger. Auf ihrer safarigrünen Dienstkleidung steht: „Ich bin ein Vielfalter.“ Ihre drei Kolleg*innen sind auf der Allgäuer Seite, jenseits der Grenze zum Bregenzerwald, unterwegs. Für mich sind Ranger reitende Amerikaner mit großem Hut und Knarre. Am Ende des Tages werde ich ein anderes Bild von ihnen haben. Zunächst einmal: Wir satteln kein Pferd, sondern steigen in ein E-Auto und fahren durch den grenzüberschreitenden Naturpark Nagelfluhkette. Er wurde 2008 gegründet und vereint 15 Gemeinden im Allgäu und im vorderen Bregenzerwald. Dominiert wird das Schutzgebiet von der etwa 24 Kilometer langen Nagelfluhkette, an der wir entlangfahren. Bei Balderschwang schultern wir die Rucksäcke und durchqueren einen Bergmischwald. Ich lerne, dass die Pflanze, die ich für Huflattich gehalten habe, „Pestwurz“ heißt.
Auf dem Boden aus Herrgottsbeton
Die Einheimischen nennen das kunterbunte Gestein des Nagelfluhs „Herrgottsbeton“. Es sieht aus wie die Köpfe von Nägeln, die tief in den Felsen geklopft wurden. Die Nagelfluhkette ist eine Schutthalde der Alpenbildung. In Zeiten von tropischem Klima sind große Mengen lockeres Sediment ins Alpenvorland geschwemmt worden, das hat den Auflagedruck steigen lassen. Schicht für Schicht aufeinandergeschoben, hat die „Zementation“ sie zu Stein werden lassen. „Stell dir Mürbteigbrösel vor, die zusammengepresst werden. Das hier ist ein verbackener Schichtkuchen auf dem Grund eines Molassebeckens, den die Auffaltung der Alpen gehoben hat“, erklärt Lisa. Kalk- und Silikatgesteine, auf kleinstem Raum durcheinandergewürfelt, ergeben eine einzigartige Mischung. Begünstigt durch viel Regen bringt sie unterschiedlichste Pflanzen hervor. Und dann – eine Eiszeit. „Einerseits ein gigantischer Biodiversitätskiller“, sagt Matthias. „Andererseits machten lehmige Ablagerungen die Böden fruchtbar“, sagt Lisa. Egal, worüber wir sprechen, die beiden betrachten alles von zwei Seiten. Das Eis taute hier früher ab als anderswo, der Boden hatte mehr Zeit, sich zu bilden.